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Tabuthema Inkontinenz

Ich war kürzlich dem Pflegeheim zu Besuch, in dem meine Tante seit einem Jahr lebt. Ihr Gesundheitszustand hat sich verschlechtert und als sie nach unserem gemütlichen Kaffeetrinken von ihrem Stuhl aufstand sah ich, dass ihre Hose durchnässt war. Ja, dieses Problem habe sie häufig, sagte sie. Vor allem nach längerem Sitzen wäre ihre Hose immer nass. Das Gespräch war meiner Tante sehr unangenehm – peinlicher war ihr aber die nasse Hose. Zögerlich gab sie an, dass ihr nur 1 Windelhose am Tag zur Verfügung stünde. In der Nacht würde man ihr eine feste Windel anlegen. Sie fühle sich dann immer wie ein Wickelkind. Dabei liefen ihr Tränen aus den Augen.

Ich konnte mir das nicht vorstellen. Das Gespräch mit der Pflegedienstleitung ihres Wohnbereiches ergab, dass meine Tante zu viele Windelhosen brauche. Und wenn sie keine Windeln mit Klebeverschluss verwenden wolle oder könne, dann wäre sie halt nass. In dem kurzen Gespräch wurde schnell klar, dass es hier nicht um Menschenwürde und Respekt ging, sondern ums Geld. Ich habe dann angeboten, dass die Mehrkosten für eine ausreichende und menschenwürdige Inkontinenzversorgung von mir privat bezahlt werden. Jetzt bin ich froher Hoffnung, dass bei meinem nächsten Besuch, alles trocken bleibt. Auf die Rechnung für diese „Luxusversorgung“ bin ich aber gespannt.

Wie sieht es aus mit unserem Anspruch auf Inkontinenzversorgung?

Wir sind 80 Millionen Deutsche. 10 Millionen von uns sind inkontinent. Harninkontinenz ist die häufigste Frauenerkrankung. 25 % aller Frauen zwischen 20 und 80 Jahren sind daran erkrankt. Im Vergleich dazu haben nur 11 % der Männer dieses Problem. Wenn beim Niesen, Lachen oder Treppensteigen unfreiwillig etwas Urin verloren geht, handelt es sich dabei um Blaseninkontinenz. Mit Slipeinlagen, die man in Drogerien und sogar in Supermärkten erhält, lässt sich dies leicht regulieren.  Wenn das Problem aber stärker wird, man aber dennoch unbeschwert durchs Leben gehen will, dann braucht man saugstarke Inkontinenzeinlagen. Bei einer mittelschweren Harninkontinenz übernimmt die Krankenkasse einen Teil dieser Kosten. Der Arzt (Hausarzt, Frauenarzt, Urologe) kann eine Verordnung ausstellen.

Je nach Krankenversicherung kann die Erstattung der Kosten von notwendigem Inkontinenzmaterial unterschiedlich ausfallen. Private Krankenversicherungen haben dies in den Tarifen ganz individuell geregelt.
Die gesetzliche Krankenkasse haben in der Regel Versorgungsverträge mit Lieferanten abgeschlossen, die eine aufzahlungsfreie Versorgung sicherstellen müssten. Je nach Versicherer werden monatliche Pauschalen zwischen 14 € und 25 € an die Lieferanten gezahlt. Das ist nicht viel. Hierfür müssen die örtlichen Sanitätshäuser nämlich nicht nur eine Inkontinenzversorgung leisten, sondern bei Bedarf auch eine Beratung zu Hause oder in der Einrichtung anbieten – für Kunde und Sanitätshaus eine unbefriedigende Situation. Die Bestellung erfolgt über ein Formular. Man erhält dann eine kleine Auswahl von Inko-Materialien zur Auswahl, die dem Schweregrad der Inkontinenz entsprechen.

Welche Inkontinenzprodukte gibt es?

Anatomische Vorlagen, Windeln mit Klebeverschlüssen und Windelhosen (Pants). Die Windelhosen werden nur in besonderen Einzelfällen übernommen, beispielsweise wenn Windeln mit Klebeverschluss aufgrund körperlicher oder kognitiver Beeinträchtigungen nicht genutzt werden können.

Wie hoch ist meine Zuzahlung für Windeln oder Vorlagen?

Grundsätzlich wird von der gesetzlichen Krankenkasse eine Zuzahlung von 10 % der Kosten dieser Hilfsmittel erhoben, wobei allerdings der Höchstbetrag von 10 € nicht überschritten werden darf. Nur bei Produkten, die über das Maß des medizinisch notwendigen hinausgeht (z. B. Pants) muss ein Aufpreis abgerechnet werden, den der Versicherte tragen muss.

Auf wie viele Windeln und Vorlagen habe ich täglich Anspruch?

Eigentlich auf so viel wie benötigt werden, um am aktiven Leben teilnehmen zu können. Als Richtwert kann man bei Windeln von einem Bedarf von 150 bis 180 Stück pro Monat ausgehen. Das sind im Durchschnitt 5-6 Windeln pro Tag. Wenn der Bedarf aber höher ist, darf der Leistungserbringer (der durch die Krankenkasse beauftragt ist) keinen „Mengenaufschlag“ verlangen. Eine Obergrenze der Versorgungsmenge ist im Versorgungsvertrag der Krankenkasse nicht festgelegt.

Sanitätshäuser sind dazu verpflichtet, ihre Kunden bei allen Hilfsmitteln so zu beraten, dass sie ihnen immer eine aufzahlungsfreie Versorgung anbieten. Wenn Sie sich dann stattdessen für eine höherwertige Variante entscheiden, berechnet das Sanitätshaus Ihnen die dadurch entstehenden Mehrkosten, die nicht durch den Vertrag mit der Krankenkasse abgedeckt sind. Menge und Versorgungszeitraum legt übrigens der Arzt fest und vermerkt dies auf der Verordnung. Es kann maximal ein Zeitraum von 6 Monaten festgelegt werden. Danach muss der Arzt eine neue Verordnung ausstellen.

Pflegebedürftige mit Inkontinenz und mit einem anerkannten Pflegegrad haben Anspruch auf kostenlose Pflegehilfsmittel. Für diese Produkte, die oft zum einmaligen Gebrauch bestimmt sind, zahlt die Pflegekasse einen Zuschuss von 40 € im Monat. Das sind z. B. Einmalhandschuhe und Bettschutzeinlagen, Desinfektionsmittel und vieles mehr. Hierfür ist keine ärztliche Verordnung notwendig.

Und wie sieht die Versorgung mit Inkontinenzhilfen im Pflegeheim aus?

Genauso. Die Pflegekassen zahlen, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt, die gleichen Zuschüsse, die auch Sanitätshäuser erhalten. Auch hier gelten keine Obergrenzen. Aber eine Aufzahlung, die die Versorgung mit komfortablen Produkten ermöglicht, darf verlangt werden.

Nachdem dies geklärt ist, zahle ich gern für das Lächeln meiner Tante. Ich will nicht, dass sie sich durch ein Problem, das ganz viele Menschen haben, so beschämt fühlt. Dieses Inkontinenz-Problem können wir also lösen. Aber gegen verbale Inkontinenz, da helfen keine Windeln.

(Verantwortlich für den Inhalt dieses Gastbeitrages:
aktiv älter Beate Schuhmacher Seniorenberatung – Am Papehof 8e – 30459 Hannover – www.aktiv-aelter.de)